Anregend, zugleich lehrreich empfindet Phyllida Barlow den Installationsprozess von „frontier“ im Haus der Kunst. In dieser Gedankenskizze beschreibt die Künstlerin die Herausforderung, die enorme Fläche der Räumlichkeiten des Haus der Kunst, die überwältigende Höhe und die strenge Symmetrie des Grundrisses mit ihrer Kunst zu destabilisieren.

Ich lerne mal wieder.
Es ist zweifellos anregend.
Aber ich würde gerne nicht dauernd lernen müssen.

Diese Zeit, das ist der Raum.
Sie war so oft schon der Raum.
Aber das ist anders, sehr anders ...
Ich muss lernen, warum.

Es ist eine schlichte Tatsache, dass ein Fingerhut, den man in die Mitte des Raumes 2 stellt,
diesen weiten, mächtigen Raum wahrscheinlich mehr beherrschen würde,
als große Skulpturen ...
Ich muss den Raum gewinnen lassen –
Am wichtigsten ist jetzt, wie die Objekte platziert sind,
wo sie landen,
wieviel Platz sie auf dem Boden einnehmen.
Ich will mit der Schwerkraft zusammenarbeiten.

Die intensive, überwältigende Höhe, eingedämmt durch Symmetrie, ist voller Licht;
Es ist keine Kathedrale, es ist ein industrialisierter Raum
von stringent verwalteter Schönheit,
worin die Geometrie den Ton angibt, ihre Forderungen stellt,
und die Arbeiten, die ich hier aufstelle, zu ziehen und zu schieben droht.
Sichtlinien, Diagonalen, Rechtecke, Zugänge, Breiten, Längen,
und natürlich die erschreckenden, unerbittlichen Höhen,
verschwören sich, die Arbeiten in Positionen zu zwingen, deren Auswahl immer begrenzter wird;
Eine unsichtbare Raumkraft herrscht, voller Tücke –
Zuerst zu viel Raum, dann, grundlos, zu wenig ...
Die Architektur kann hexen.

Wir installieren die "awnings"
Meine hilflosen Berechnungen haben Chaos verursacht.
Die Platten der Galerieböden sind 60 cm2 groß.
Will man messen, wo die 11 "awnings" hinkommen,
muss man die Bodenplatten auf allen Raumplänen zählen.
Ich habe alles falschgemacht.
Die Maximalhöhe, um die "awnings" aufzuhängen, beträgt 5 Meter.
Auf dem Zoom-Bildschirm sehen 5 Meter wie 3 Meter aus.
Ich habe Mühe, den Raum zu verstehen,
sein gewaltiges Luftvolumen, das nach unten drückt
und sich gleichzeitig nach oben ausdehnt, weit über die 5-Meter-Marke hinaus.
Ich fühle mich blind.

Es ist Montag und Raum 11 – die "Galerie der hängenden Klumpen".
Die Stahltragkonstruktion schafft einen Raum im Raum;
mehr Beschränkungen gelten:
Das Gewicht der hängenden Klumpen legt bestimmte Positionen fest;
und wieder – so viel Raum, so wenig Wahlmöglichkeit, wie man ihn verwendet;
ein Rätsel.
Die "broken red stage" ist völlig verkehrt;
das funktioniert nicht.
(Was heißt das? Was funktioniert nicht?)
Wir drehen sie um.
Der Raum rastet ein und wird lebendig.
Wie geht das?
Die Rückseite der Bühne ist jetzt eine Barriere
im Inneren des Stahlrahmengehäuses –
Sie erzeugt Energie, sperrt und entsperrt den Raum;
eine dynamische Diagonale, die nun festlegt, wo die Klumpen hängen können;
diese eine Schlacht hat "kaputte Bühne" gewonnen.
Der Raum hat verloren.
Ein kleiner, aber wichtiger Sieg.

Weiter zu den Räumen 3 und 12: "blocks on stilts " und "stockade".
Ich habe für beide Arbeiten Diagramme ihrer Stellflächen für diese Räume gezeichnet.
Aber inzwischen weiß ich, dies sind nur Schatten von dem, was das Endergebnis sein wird.
Diese verflachten Zeichnungen,
kombiniert mit den Bildern auf Zoom,
entsprechen nicht den räumlichen Druckpunkten,
die Geometrie und Symmetrie der Architektur verlangen.
Das ist gnadenlos, aber es schafft auch neue Herausforderungen für mich:
Zwei Drittel des Raumes in allen Galerien des Museums kann nicht belegt werden.
Weit über uns
ist der Raum psychologisch –
zweifellos einst geschaffen, um Autorität und Macht zu zeigen ­–
die Anwesenheit des Gewichts von Luft und Licht ist dominant.
In den Raum unterhalb dieser ungreifbaren Leere voller Licht und Luft
bringe ich Arbeiten,
die vorher nie zusammen gewesen sind;
Arbeiten, die ursprünglich bestimmte Beziehungen zwischen festgelegten Positionen herstellen sollten,
werden, von diesen Vorschriften befreit, autonom.
Das ist spannend zu sehen.
"blocks on stilts" will unbedingt höflich bleiben,
es formt einen eleganten, choreografierten Kreis,
der schwer zu zerreißen ist.
Mit den “slashed columns” in Raum 8 gab es ein ähnliches Problem.
Ich versuche zu lernen.

Seit einiger Zeit habe ich festgestellt,
dass Installationsprozesse für mich drei Protagonisten haben:
den Raum, die Arbeit, das Publikum.
Und wie diese drei um ihre Beziehungen wetteifern,
wird zur Dynamik des Installationsprozesses.

Doch das Haus der Kunst hat eine präzise und allumfassende Tücke:
Es überrumpelt mich
und ich muss herausfinden, wie ich mit seinen Überraschungen und Argumenten zusammenarbeiten kann.

Und hier ist der geflieste Steinboden – der Untergrund –
dessen Festigkeit gleichzeitig trägt und öffnet
und die große Leere oben widerspiegelt.
Mit seiner greifbaren, physischen Stofflichkeit,
der Gravitation des festen Untergrunds,
liefert er die Substanz der Wirklichkeit.

Vielleicht kann ich loslassen ...

Phyllida Barlow
13.02.2021

Phyllida Barlow. frontier, Installationsansicht, Haus der Kunst, 2021, Foto: Maximilian Geuter
Phyllida Barlow. frontier, Installationsansicht, Haus der Kunst, 2021, Foto: Maximilian Geuter
Phyllida Barlow. frontier, Installationsansicht, Haus der Kunst, 2021, Foto: Maximilian Geuter
Phyllida Barlow. frontier, Installationsansicht, Haus der Kunst, 2021, Foto: Maximilian Geuter
Phyllida Barlow. frontier, Installationsansicht, Haus der Kunst, 2021, Foto: Maximilian Geuter
Phyllida Barlow. frontier, Installationsansicht, Haus der Kunst, 2021, Foto: Maximilian Geuter
Phyllida Barlow. frontier, Installationsansicht, Haus der Kunst, 2021, Foto: Maximilian Geuter
Phyllida Barlow. frontier, Installationsansicht, Haus der Kunst, 2021, Foto: Maximilian Geuter
Phyllida Barlow. frontier, Installationsansicht, Haus der Kunst, 2021. Foto: Maximilian Geuter
Phyllida Barlow. frontier, Installationsansicht, Haus der Kunst, 2021. Foto: Maximilian Geuter