In einer Blog-Reihe stellen wir euch vier Videoarbeiten aus der Ausstellung "Brainwashed" genauer vor. In Kurzinterviews haben wir mit den vier KünstlerInnen über die Hintergründe und aktuellen Bezüge der in der Ausstellung gezeigten Arbeit gesprochen. Neben diesen spannenden Antworten und der Videoarbeit selbst haben sie uns außerdem erstmalig Zusatzmaterial zur Verfügung gestellt, das sie zu ihren Arbeiten inspiriert hat und das uns mehr über die sehr unterschiedlichen Arbeitsweisen der KünstlerInnen verrät.

Shana Moultons Performances und Videos sind um ihr Alter Ego Cynthia herum aufgebaut, eine Figur, die die Künstlerin während ihres Studiums entwickelte. Die amerikanische Künstlerin wuchs in einem Wohnwagenpark für Senioren auf, den ihre Eltern besaßen. Ihre Videos, zwar in Bubblegum-Tönen, aber mit etwas Dunklem was unter der Oberfläche lauert, sind geprägt von ihren Kindheitserfahrungen.

Shana Moulton Whispering Pines 9 2009 1-Kanal-Video (Projektion oder Monitor) (Farbe, Ton) © the artist Courtesy Sammlung Goetz, Medienkunst, München
Shana Moulton Whispering Pines 9 2009 1-Kanal-Video (Projektion oder Monitor) (Farbe, Ton) © the artist Courtesy Sammlung Goetz, Medienkunst, München
Shana Moulton Whispering Pines 9 2009 1-Kanal-Video (Projektion oder Monitor) (Farbe, Ton) © the artist Courtesy Sammlung Goetz, Medienkunst, München
Shana Moulton Whispering Pines 9 2009 1-Kanal-Video (Projektion oder Monitor) (Farbe, Ton) © the artist Courtesy Sammlung Goetz, Medienkunst, München

In dem seit 2002 beständig weiterentwickelten Werkkomplex Whispering Pines ist Cynthia, Shana Moultons Alter Ego, die Protagonistin. Der Titel benennt den Ort des Geschehens: eine Wohnwagensiedlung in Kalifornien, wo die Künstlerin selbst aufwuchs. Cynthia lebt ebenfalls dort in einem Flachbau, wo sie eine Reality-TV-Show in ihrem Fernseher sieht: In der Sendung wird vermeintlicher Trödel zu wertvollen Raritäten erklärt. Nun hofft Cynthia, gleichermaßen aus einer Vase und einem Spazierstock Gewinn schlagen zu können. Nach einem langen Weg durch verschiedenste Landschaften sieht sie sich in ihrer Hoffnung enttäuscht. Das scheinbar einzigartige Gefäß und der Spazierstock stellen sich surrealerweise als ein modernes Fußbad und ein Massagegerät heraus. So endet Cynthias Streben nach medial vermittelten Möglichkeiten in einer Rückbesinnung auf Körperlichkeit und deren Vervollkommnung.

Moulton verwebt Fiktion und Fakten, was sich durch die stets sichtbaren digitalen, collageartigen Schnitttechniken verdeutlicht. Auf den Spuren der im Spiritualismus wurzelnden „New Age“-Bewegung wandelnd, die im Kalifornien der 1950er-Jahre ihren Ursprung genommen hatte, verkörpert Cynthia eine Sinnsuchende. Der Drang nach Selbstverbesserung in einer kapitalistisch geprägten Gesellschaft hatte dort einen zentralen Ausgangspunkt.

Fragen an die Künstlerin Shana Moulton

Foto: Say Who
Foto: Say Who

Haus der Kunst: In welchem Zusammenhang ist diese Arbeit entstanden? Was hat dich zu der Arbeit veranlasst?

Shana Moulton: Das meiste Filmmaterial für dieses Video habe ich im Sommer 2009 auf einer Reise nach New Mexico und Arizona mit meinen Eltern gefilmt. Sie hatten Taos 2002 besucht und wollten mich unbedingt dorthin bringen. Ohne zu wissen, worum es in dem Video ging, habe ich viel Filmmaterial von mir selbst aufgenommen, als ich an Orten wie der Missionskirche San Francisco de Asís in Taos (die von Georgia O'Keeffe gemalt und von Andel Adams und Paul Strand fotografiert wurde), dem Mabel Luhan Dodge House in Taos und anderen Orten rund um das spirituelle Mekka Sedona, Arizona, herumlief. Später wurde mir klar, dass ich wollte, dass das Video von der Besessenheit meiner Eltern von der Antiquitäten-Roadshow erzählen sollte, einer Fernsehsendung, in der Menschen Antiquitäten nach ihrem kulturellen und finanziellen Wert schätzen lassen. Es war eine der wenigen Sendungen, die meine Eltern gemeinsam sahen. Nachdem sie eine Episode gesehen hatte, in der ein Stück Keramik von der North Dakota School of Mines für mehrere tausend Dollar geschätzt wurde, wurde meiner Mutter klar, dass sie ein Stück Keramik von derselben Schule hatte (als Stifthalter, den ihr Vater auf einem Garagenverkauf für 25 Cent erstanden hatte). Sie verkaufte das Stück dann bei eBay für $2500. Ich benutzte das gesamte Wandermaterial, um die Pilgerreise meines Alter Egos zum Ort der Antiken Roadshow darzustellen.

Haus der Kunst: Was bedeutet dir diese Arbeit?

Shana Moulton: In dem Video geht es darum, wie wir äußere Objekte und körperliche Angelegenheiten schätzen; Gesundheit und Schönheit. Es geht auch um die transformativen, spirituellen und kommerziellen Aspekte der Pilgerreise.

Haus der Kunst: Was bedeutet Brainwashed im gegenwärtigen Medienzeitalter für dich?

Shana Moulton: Für mich geht es darum, zu wissen, dass man einer Gehirnwäsche unterzogen wird, aber eine Gehirnwäsche (in unterschiedlichem Ausmaß) trotzdem zulässt. Ich erlebe dies gerade jetzt wo sich viele der "New Age/spirituellen" Reaktionen auf die COVID-Krise in einem Spektrum bewegen, das von nützlich/bequem/ermächtigend bis hin zu kontraproduktiv/gefährlich reicht.

Kuratorin Jana Baumann erklärt:

Shana Moultons künstlerische Praxis hat eine ganze Generation an Nachwuchskünstlern geprägt. Einerseits bezieht sie sich auf biographische Erlebnisse wie ihre Kindheit in einem von der New-Age Bewegung geprägten Kalifornien, wobei ihr die spirituellen Techniken und verwendeten okkultistische Gegenstände für eine angestrebte Bewusstseinserweiterung als Inspiration dienen. Andererseits wurzelt ihre Arbeitsweise in der Nutzung von alltäglichen Medien wie Fernsehen oder Internet, um die sich darin vermittelnde Mainstream-Vorstellungen von Glück und seelischer wie auch körperlicher Vervollkommnung zu reflektieren. Das Zusammenspiel von Spiritualität und Konsum, von Wellness und Esoterik, von Schönheitswahn und dessen Kommerzialisierung greift sie auf. Vielfach erzeugt Shana Moulton unterschiedlich Realitätsebenen mittels ihrer Installationen, worin ihre Filme eingebettet sind gleichermaßen aber auch ihre Performances stattfinden.

Shana Moulton lässt uns unmittelbar an ihrer künstlerischen Praxis teilhaben, wenn Sie mit uns Internet-Links teilt. Hierbei gelangen wir zu Orten, die sie inspirieren oder als Spielorte für ihre Videoarbeiten fungieren. Mittels von live Google-Suchen in ihren Videos und Performances schafft sie übereinander gelagerte und vielfach widersprüchliche Wirklichkeiten, in denen wir täglich selbst schweben.

Die Künstlerin verlor fast alle Materialien für dieses Projekt, als ihr Laptop 2009 gestohlen wurde, aber sie konnte uns einige Inspirationsquellen für ihre Arbeit zukommen lassen:

Whispering Pines 9 von Shana Moulton ist derzeit Teil der Ausstellung "Brainwashed" der Sammlung Goetz im Haus der Kunst.