Heidi Bucher: Ein Online-Symposium mit Talks, Screenings und Musik

9.2.22

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Anlässlich der Retrospektive „Heidi Bucher. Metamorphosen“ widmet das Haus der Kunst und The Estate of Heidi Bucher dem Lebenswerk der Künstlerin erstmalig ein ganztägiges digitales Symposium. Dieses umfasst die Uraufführung der Komposition Music for Bodyshells von Nik Bärtsch, ein Interview mit den Söhnen der Künstlerin, ein Screening von teils nie zuvor gezeigtem Filmmaterial sowie drei Podiumsdiskussionen mit internationalen Wissenschaftler*innen und Ausstellungsmacher*innen. Das Symposium spürt Heidi Buchers performativen Entdeckung und Emanzipation des sensuellen, empfindsamen Körpers im 20. Jahrhundert nach.

In den ersten Latex-Häutungsaktionen der 1970er-Jahre manifestiert sich Buchers zukünftige Beschäftigung mit dem menschlichen Körper und der Psyche im Kontext von privaten wie öffentlichen Lebensräumen, von gesellschaftlichen wie auch geschlechtlichen Normen und Konditionierungen. Mit den unter enormen körperlichen Kraftanstrengungen durchgeführten Latex-Häutungen – zunächst von Orten der eigenen Biographie und später historisch belasteter, öffentlicher Gebäude – überträgt Bucher psychische Prozesse auf das Material. Ihre Verschränkung verschiedener Medien mündet in ein Spiel mit der An- und Abwesenheit des Körpers als Medium und Mittelpunkt einer materiellen und skulpturalen Verwandlung. 

Bereits die ersten Raumhäutungen wurden umfassend fotografisch und filmisch aufgezeichnet. Neben Skizzen und Notizen verfasste Bucher auch Instruktionen und Aktionsabläufe ihrer Werkprozesse. In den vielfach erstmalig veröffentlichten Archivalien offenbart sich, dass die kollektive Partizipation und mediale Aufzeichnung essenzielle Bestandteile ihrer Arbeit sind. Diese künstlerische Praxis und radikalen Vorstellungen von Körper- und Raumtransformationen erlauben ein vielfältiges Gedankenspiel für alternative Gesellschaftsentwürfe in der Gegenwart. 

Das Heidi Bucher Symposium widmet sich ihren multimedialen Verfahrensweisen wie auch emanzipatorischen Themen und möchte einen essentiellen Beitrag zur Erforschung ihrer künstlerischen Anliegen leisten. Heidi Buchers Rolle während des gesellschaftlichen Wandels der Nachkriegszeit als eine – wenn auch meist übersehene – Hauptvertreterin der internationalen Neo-Avantgarden sowie ihre Bedeutung im Hinblick auf gegenwärtige Körperpolitiken stehen im Fokus der Veranstaltung.


Programm

15:06 Begrüßung Andrea Lissoni, Künstlerischer Direktor, Haus der Kunst 

18:28 Indigo Bucher und Mayo Bucher, The Estate of Heidi Bucher 

24:35 Einführung Jana Baumann, Senior Kuratorin, Haus der Kunst

36:43 Mayo und Indigo Bucher im Gespräch mit Jana Baumann

Ein gemeinsamer Rückblick auf das Lebenswerk von Heidi Bucher mit den Söhnen und Nachlassvertretern eröffnet neue Erkenntnisse zu ihrem künstlerischen Schaffen. Das Archiv der Künstlerin und seine Inhalte wie auch deren Bedeutung für die Entwicklung der Ausstellung finden Erläuterung.

1:22:46 Impulsreferate und Podiumsdiskussion I 

Emanzipatorische Werkprozesse: Heidi Bucher und die Neo-Avantgarden 

  • Jenni Sorkin, Außerordentliche Professorin für Kunst- und Architekturgeschichte, University of California, Santa Barbara
  • Ian Alteveer, Aaron I. Fleischman Kurator für moderne und zeitgenössische Kunst, Metropolitan Museum of Art, New York
  • Anne-Marie Bonnet, Professorin für Kunstgeschichte, Universität Bonn (Moderation)
  • Kathleen Bühler, Chefkuratorin, Kunstmuseum Bern

Heidi Bucher griff in den 1970er Jahren räumliche Erscheinungsformen sozialer Beziehungen und repressiver Ordnungen auf, die Überlagerung von Eigen- und Fremdraum – von (Raum-)Konflikten. Wie mündete die vom Bauhaus geprägte Ausbildung oder ihre diversen Auslandsaufenthalte, insbesondere der mehrjährige in Los Angeles, in die prozessualen und emanzipatorischen Strategien ihres Hauptwerks?

Welchen Auswirkungen hatten einstige Begegnungen mit dem feministischen Womanhouse, die Freundschaft mit Ed Kienholz oder Hans Namuth, aber auch die Bewunderung für Eva Hesse auf den Werkbegriff Buchers? Während sich mit dem Feminismus eine Gegenposition zum Modernismus in den USA auftat, arbeitet Bucher zunehmend jenseits von Geschlechterstereotypen. Sie thematisierte den Körper als eine umfassende, ganzheitliche sensuelle Erfahrung. Buchers Bedeutung mit ihrer skulpturalen und performativen Fusion von Organischem und Statischem im Kontext der internationalen Avantgarden wird rückblickend aufgegriffen.

2:46:21 Pause

3:01:20 Filmscreening Heidi Bucher 

  • Sequenzen der Häutung Herrenzimmer (1978, 13’46‘‘)
  • Der Schlüpfakt der Parkettlibelle (Le Prison, Le Landeron) (1983, 17‘10‘‘)
  • Ablarven (Le Prison, Le Landeron) (1983, 40‘‘)
  • Häutung Kleines Glasportal (Sanatorium Bellevue, Kreuzlingen) (1988, 2‘8‘‘)
  • Räume sind Hüllen, sind Häute (1981, 33‘) 

Das jüngst zur Retrospektive wiederentdeckte und restaurierte Videomaterial zu unterschiedlichsten Häutungsaktionen der 1970er- und 1980er-Jahre zeigt Bucher in Ausführung performativer Gesten und Bewegungen, die mit den Arbeiten und deren Umraum zu verschmelzen scheinen. Ihr Körper vermittelt in den Szenen einen Eindruck von Bildhaftigkeit, wobei sie vielfach den imaginierten Betrachter intensiv in den Blick nimmt. Ein direktes Verhältnis zum Publikum war somit einkalkuliert und Buchers persönliche Präsenz wie auch eine mediale Vielfältigkeit erweisen sich retrospektiv als zentral für ihr Werk.

4:15:56 Impulsreferate und Podiumsdiskussion II 

Filmische und performative Praktiken als mediale Entgrenzung: Buchers Körper- und Raumskulpturen 

  • Ana Janevski, Kuratorin für Medien und Performancekunst, Museum of Modern Art, New York
  • Andrea Lissoni, Künstlerischer Direktor, Haus der Kunst (Moderation)
  • Cecilia Fajardo-Hill, Kunsthistorikerin und Kuratorin für zeitgenössische lateinamerikanische Kunst 

Was ist die Beziehung zwischen Buchers Häutungsaktionen und deren filmischen Aufzeichnungen? Zielt sie auf einen Moment der Gemeinschaftsbildung mit den Betrachter*innen, um eine körperliche Erfahrung zu teilen? Bucher lenkt den Blick auf den Körper im Raum, dem dynamische Beziehungen widerfahren und sich Erlebnisse, Emotionen und Affekte einschreiben. Die Anwesenheit des Künstlerkörpers ist unerlässlich, wobei die Zuschauer*innen mit ihrer eigenen Wahrnehmung sich auch zu einem späteren Zeitpunkt ins Verhältnis zur Aktion setzen können.

Bucher erlangt Autonomie in den Räumen einstiger Handlungsunfähigkeit – und erfährt Selbstermächtigung. Die Unwiederholbarkeit der Aktion, jenseits ihrer medialen Aufzeichnung, mündet schließlich in ortsungebundene, raumgreifende Installationen. Ihre Plastik verkörpert Architektur und Körper zugleich, wobei deren eigene Bedingungen und Rezeption zur Diskussion stehen.

5:12:51 Impulsreferate und Podiumsdiskussion III 

Sensuelle Körperkonzepte und neue Lebensformen: Die Haut als Schnittstelle zur Welt 

  • Jenny Schlenzka, Direktorin, Performance Space, New York
  • Chus Martínez, Kunstkritikerin, Professorin und Leiterin des Instituts Kunst Gender Natur, Hochschule für Gestaltung und Kunst, Basel (Moderation)
  • Quinn Latimer, Kunstkritikerin, Dichterin und Schriftstellerin

Buchers an überdimensionierte Membranen erinnernden Latexhäute symbolisieren zugleich Körperpolitiken, indem der jeweilige Raum sich mit seiner sozialen Definition und Geschichte ins Material einschreibt. Bucher zielt darauf, einer Entfremdung des Körpers entgegenzuwirken. Bereits mit ihren frühen geschlechterlosen Skulpturen, den Bodyshells, verschreibt sie sich autonomen Lebensformen.

Die Abhängigkeiten von Gemeinschaften und die schmerzhafte Wahrnehmung des eigenen Selbst im Unterschied zu Kollektiven lässt Bucher in ihren hautähnlichen Installationen hervortreten. Inwiefern stellt Bucher sich Vorstellungen von naturgegebenen Verhältnissen als Legitimation für soziale Wirklichkeiten entgegen? Entlarvt und überwindet sie den Körper als Projektionsfläche gesellschaftlicher Fremdbestimmungen und wenn ja, welche neuen möglichen Formen des Zusammenlebens propagiert ihre Kunst?

6:10:59 Einführung Bodyshells Performance Luisa Seipp, Kuratorische Assistenz, Haus der Kunst 

6:14:53 Music for Bodyshells von Nik Bärtsch

Aus Buchers anfänglicher Faszination für ein Zusammenspiel von Kunst und Mode gingen schon im Kalifornien der frühen 1970er-Jahre geschlechterlose Körperskulpturen hervor. Die trag- und tanzbaren Körperskulpturen Bodyshells zelebrieren bereits ihren Skulpturenbegriff zwischen Performance und Objekt und lassen Skulptur, Architektur, Design und Tanz miteinander verschmelzen. Für ihre Präsentation im Rahmen dieser Ausstellung werden die Skulpturen eigens erneut rekonstruiert.


Verwandte Ausstellung:

Heidi Bucher. Metamorphosen

Ausstellung, 17.9.21 — 13.2.22